Tibetische Bogen - 青海弓

Als "Tibetische Reflexbogen" sollen hier solche verstanden werden, welche sich Zeit des Protektorats bzw. nachfolgender Suzeränität der Qing-Dynastie über das Gebiet des "Tibetischen Reiches" eingangs bzw. Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelten und als dominant durchsetzen.

Ursache dafür ist mutmaßlich, dass aufgrund der Koexistenz ein Austausch zwischen beiden Kulturen auch auf dem Gebiet der Waffentechnik stattfand, aufgrund dessen tragende Elemente mandschurischer Bogen die Tibetischen beeinflussten. Man kann diese Bogen daher auch im weiteren Sinne als "tibetisch-mandschursich" bezeichnen.

Im Ergebnis dessen sind die tibetischen Bogen ähnlich wie die Mandschurischen konstruiert, jedoch in ihrer Gesamtheit weniger lang als diese; ihr Reflex ist weniger stark ausgeprägt; die Siyahs sind im Verhältnis zu den Wurfarmen etwas verkürzt.

Tibetischer Bogen nebst Bogentasche / Bogenköcher und Pfeilen an einem Pferd, Aufnahme während des Neujahrsfestes 1938/1939 in Lhasa (Deutsche Tibetexpedition 1938/1939), Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Bild-Nr. 135 – S - 14 – 29 / Photograph: Ernst Schäfer; mit freundlicher Genehmigung des Bundesarchives
Tibetischer Bogen nebst Bogentasche / Bogenköcher an einem Pferd, Detail einer Aufnahme während des Neujahrsfestes 1938/1939 in Lhasa (Deutsche Tibetexpedition 1938/1939), Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Bild-Nr. 135 – S - 14 – 29 / Photograph: Ernst Schäfer; mit freundlicher Genehmigung des Bundesarchives
Bogen im tibetisch-mandschurischen Stil aus modernen Materialien

Die Auszugslängen sind mit in der Regel 32 - 33 Zoll etwas kürzer als bei mandschurischen Bogen. Der Auszug lässt sich als weniger komfortabel und effizient bezeichnen, da die Hebelverhältnisse ungünstiger gestaltet sind.

Im Abschuss sind diese Bogen jedoch einfacher zu handhaben, da es aufgrund der geringeren Bogenlänge, kürzerer Siyahs und weniger ausgeprägten Reflexes zu einem signifikant geringeren Handschock kommt. Auch wird die Handhabung im Allgemeinen aufgrund der geringeren Länge der Bogen oft als komfortabler empfunden.

Teilweise findet sich für diese Bogen auch die Bezeichnung als "Qinghai"/"Tibetan - Qinghai - Bogen".

Die Ursache dafür ist darin zu suchen, dass das Gebiet der heutigen chinesischen Provinz Qinghai in der Vergangenheit zeitweilig zum tibetischen Großreich gehörte. Nachfolgend unterlag es Zeit des Protektorats bzw. nachfolgender Suzeränität der Qing-Dynastie über das Gebiet des "Tibetischen Reiches" eingangs bzw. Mitte des 18. Jahrhunderts chinesisch - mandschurischem Einfluß.

Dieses sowie die geographisch gesehen unmittelbare Nachbarschaft zu den einstigen tibetischen Kernterritorien im allgemeinen bedingte mutmaßlich einen starken Einfluß derer Kultur sowie auch derer Militärtechnik. Daraus resultierte vermutlich auch die Nutzung der Bogen tibetischer Konstruktionsweise bzw. das Einsickern derselben in das Gebiet von Qinghai. Dort hielt und hält sich deren Gebrauch, zuletzt zu zeremoniellen, kulturellen oder sportlichen Zwecken, bis in das 21. Jahrhundert.

Neben den erwähnten Reflexbogen scheinen Zeit der Suzeränität der Qing-Dynastie über das Gebiet des "Tibetischen Reiches" und nachfolgend zumindest bis in die erste Hälfte des 20. Jh. hinein einfach ausgeführte Flachbogen in Gebrauch gewesen zu sein. Mit diesen wurden zu bestimmten Anlässen auch die Fähigkeiten im Bogenschießen, unter anderem im Rahmen von Weitschießwettbewerben unter Beweis zu stellen gesucht. Dabei kamen - im Gegensatz zu den schweren Geschossmaterialien der Reflexbogen - sehr dünne, leichte Pfeile mit außerordentlich kurzer, flach gehaltener Befiederung und filigran ausgeführten Nocken zum Einsatz.

Documentarfilmsequenz "Neujahrsfeierlichkeiten in Lhasa – Schlachtnachstellungen; Weitschusswettbewerb mit Pfeil und Bogen; Kavallerievorführung in historischen Rüstungen; Bogenschießen zu Pferd"